Interview mit Heinrich Paravicini
Wie vermittelst Du Deine Arbeit?
Wenn ich beim Abendessen erzähle, was ich mache, dann sage ich – Ich entwickle Marken. »Ach, Marke – ja, das kaufe ich im Supermarkt, das habe ich auch schon mal gehört«, antworten viele.
Dein Abschluss ist doch Designer …
Stimmt, aber wenn die Leute hören, dass ich Designer bin, denken alle sofort an Möbel.
Und beim Thema Marken …
… haben sie auch Fragen, aber können sich zumindest etwas darunter vorstellen. Die meisten Begriffe, die wir verwenden, sind relativ abstrakt. Wer Medizin oder Jura studiert, hat es leichter. Darunter kann man sich etwas vorstellen. Bei Kommunikationsdesign ist das anders – das war übrigens schon während des Studiums schwierig und hört später im Job auch nicht auf. Vor allem, weil Kommunikationsdesign mit Werbung gleichgesetzt wird.
Was ist der Unterschied zwischen einem Werber und einem Designer?
Klischees finde ich ganz schlimm. Also dieses »so ist ein Werber und so ist ein Designer«?
Irgendwie muss es doch einen Unterschied geben …
Also, ich will jetzt nicht sagen, Designer tragen immer einen schwarzen Rolli und haben eine große schwarze Brille. Werber tragen immer einen bunten Schal und haben einen Bart … Das bringt nichts, denn es geht um die Jobdescription bzw. das Berufsfeld.
Was ist denn der Unterschied?
Designer arbeiten ganzheitlich im klassischen Stil des Gestalters, wie wir es vom Bauhaus mal gelernt haben. Designer sind Generalisten, denken strukturiert, bringen Inhalt und Form übereinander. Sie analysieren sehr präzise eine Aufgabe und suchen eine bestimmte Lösung. Dieses Ganzheitliche schafft eine gewisse Komplexität – und die gilt es zu simplifizieren. Das unterscheidet den Kommunikationsdesigner nicht wesentlich vom Produktdesigner.
Und wie ist es bei Werbern?
Das Briefing für einen Werber ist ein anderes. Es geht darum Leute zu begeistern, zu motivieren, den Kauf anzuregen. Doch zuallererst gilt es, Reaktionen hervorzurufen. Bei Designern dagegen geht es darum für eine Aufgabe, für ein gutes Produkt die perfekte Umsetzung zu finden, die genau für das Unternehmen passt. Und das kann auch ganz leise sein.
Pitcht Ihr gegen Werbeagenturen?
Sehr ungern und eigentlich kaum, aber es kommt vor.
Pitcht ihr bezahlt oder unbezahlt?
Nur bezahlt. Wir machen bei Pitches nur mit, wenn drei Dinge stimmen – Erstens – Es wird bezahlt. Zweitens – Wir wissen von dem Budget, um das es geht. Drittens – Wir kennen die Wettbewerber. Sonst machen wir das nicht mit!
Das klingt nach viel Aufklärungsarbeit, und offensichtlich bist Du auch viel unterwegs. Brauchst du nicht auch mal eine Pause?
Pause … ? schwierig! Nein im Ernst. Wir arbeiten prinzipiell nie am Wochenende! Das kommt nur in sehr seltenen Fällen vor, wenn wir zum Beispiel montags eine Messeeröffnung haben. Ansonsten gebe ich unter der Woche Vollgas, das ist dann auch kein Neun-Stunden-Tag, sondern länger. Dafür mache ich freitags ab 19 Uhr endgültig Schluss. Das ist mir auch sehr wichtig, sonst macht man sich unglücklich.
Gilt diese Regelung auch für Deine Mitarbeiter?
Das gilt genauso für meinen Partner Johannes Plass – und unsere Mitarbeiter.
Wie ist Dein typischer Arbeitstag strukturiert?
Einmal am Tag versuche ich rauszukommen. Wenn es mittags nicht klappt, dann gehe ich nachmittags mal eine Runde spazieren. Ich kann meine Pausen nie genau timen, versuche aber einmal am Tag eine zu machen. Und ich bleibe sehr gerne sehr lange auf. Ich brauche nicht so viel Schlaf, und daher ist es für mich sehr erholsam, ja fast Entspannung, wenn ich abends alleine meine E-Mails lesen kann. Das ist für mich fast wie Urlaub.
Inwiefern haben sich die Aufgaben des Designers geändert?
Heute ist alles so kurzlebig, miteinander vernetzt, und alles muss schnell gehen. Das heißt, auch die Arbeit des Designers muss sich anpassen. Er muss aus seinem Kämmerlein rauskommen, darf sich nicht in Details verstricken, muss mit allen Medien kommunizieren, multitasken und viel schneller werden. Zusätzlich werden die Briefings immer dürftiger.
Und wie ist es bei Werbern?
Bei ihnen ist das Briefing immer noch das gleiche. Sie müssen Aufmerksamkeit und Verkäufe anregen. Aber die Medien sind heute ganz anders, sprich, ich brauche ganz anderes Know-how – Viel mehr Themen im Detail bei einer neuen Ganzheitlichkeit.
Mutabor besteht mittlerweile aus fast 80 Mitarbeitern, es gibt drei Units, Ihr arbeitet mit verschiedenen Arbeitsteams zusammen …
Genau – Architekten, Industriedesigner, Webdesigner, Grafikdesigner, Interfacedesigner, Bildredakteure, Filmer und Sounddesigner. Jede Woche machen wir ein Status-Meeting mit rund 20 Leuten aus allen Bereichen, um über den Stand der Dinge sprechen.
Wie ist so ein Team zusammengesetzt?
Ein paar Beispiele – Das Grafikdesign-, beziehungsweise Corporate-Identity-Team. Da sitzt ein Praktikant, ein Junior Designer, ein Senior Designer, ein Art Direktor und ein Creative Direktor zusammen. Besprochen werden dort beispielsweise die Manuals und Guidelines für einen Kunden. Dann gibt es ein Start-Event-Team, was sich aus Creative Direktor, Architekt, Industriedesigner und Kommunikationsleuten zusammensetzt. Das haben wir in den Bereich Black eingeordnet. Dann gibt es noch ein Team, das im Bereich Silver angesiedelt ist und mit Film arbeitet. Außerdem haben wir ein viertes kleines Team, das sich um Coaching kümmert. Da geht es dann darum, die Mitarbeiter an die Hand zu nehmen und beim Prozess zu begleiten, sodass die Marke auch weltweit implementiert werden kann. Diese Coaches sitzen zum Teil auch mit beim Kunden.
Wie kommunizieren die Teams untereinander?
In sogenannten CD-Meetings treffen sich dann alle Kreativdirektoren aus den Bereichen black, white, silver und sprechen ihre Arbeitsergebnisse und Pläne miteinander ab. Diese großen Runden finden bei großen Kunden und großen Aufträgen statt. Aktuell arbeiten wir auch für ein Weingut, wo wir uns um Etiketten und Verpackung kümmern. Dann kommen nur der Artdirektor, Grafiker und der Projektmanager zusammen, und nicht alle.
Was schätzt du an deinen Mitarbeitern besonders?
Dass sie den beiden Wahnsinnigen immer noch vertrauen!
Was macht Euch denn zu so Wahnsinnigen?
Na ja, wir sind ja schließlich zwei Menschen die hier durch den Laden speeden – das muss man erst einmal aushalten können. Und zwischendurch fällen wir gelegentlich auch Entscheidungen, die nicht immer so durchdacht sind. Und trotzdem geht es immer weiter.
Das klingt …
Natürlich sind wir mittlerweile wirklich groß geworden, doch versuchen wir, unseren Kollegen das Gefühl zu geben, dass wir keine Behörde sind. Wir sind ein Laden, der inhabergeführt ist, von zwei merkwürdigen Typen, die auch ihre Eigenarten haben. Das muss passen.
… nach einem lockeren Umgang miteinander.
Wir stehen voll hinter unseren Leuten. Jeder, der uns verlässt, ist herzlich eingeladen, zurückzukommen. Wann immer er will. Ganz nach dem Motto »Einmal Mutaborjaner, immer Mutaborjaner«. Einige haben diese Einladung sogar schon angenommen.
Warum macht Ihr das?
Designer arbeiten langfristig. Ich muss total viel Know-how aufbauen, um die Kunden so langfristig betreuen zu können. Wenn ich jedes Jahr meine Leute wechseln müsste, könnte ich diese Arbeit gar nicht machen. Wir brauchen Leute, die lange da sind. Durchschnittlich bleiben unsere Mitarbeiter tatsächlich 7 Jahre, was für eine Agentur ein sehr langer Zeitraum ist. Große Projekte wie Audi zum Beispiel wären mit ständig wechselnden Mitarbeitern niemals möglich gewesen.
Du arbeitest seit 14 Jahren im Bereich Markenentwicklung. Könntest du dir vorstellen, als Designer nochmal etwas komplett anderes zu machen?
Wenn ich mir so etwas denken würde, müsste ich aufhören. Unser Slogan lautet »I’m going to change«. Und genau das treibt mich ja an, darum geht es mir! Ich mache heute etwas total anderes als vor 14 Jahren. Als wir anfingen, haben wir fast nur Grafikpixel geschoben und viel Typo ausprobiert. Das machen wir ja heute überhaupt nicht mehr.
Was machst Du dann?
2003 kam das Thema Raum dazu. Ich wollte mal Architektur studieren, aber es hat sich nie so ergeben. Doch immer noch fasziniert mich Architektur unglaublich – und seit Beginn der Auseinandersetzung habe ich sehr viel darüber gelernt. Ich würde sagen, solange man Neues lernt und neue Dinge ausprobiert, wird mir nicht langweilig.
Herzlichen Dank!
Das Interview wurde am 21. Mai 2012 geführt.