Interview mit Christian Riis Ruggaber
Hallo Christian, du hast uns im Vorfeld erzählt, dass du im Rahmen eines Kunst-projektes in Grönland warst. Bist du oft am Reisen für deine Projekte?
Nein, ich habe jetzt erst begonnen, für meine Projekte zu reisen. Ich bin relativ neu in der Kunst angekommen und hatte letztes Jahr ein sehr erfolgreiches Kunstjahr. Ich war im Januar 2012 für die »Plat[t]form« des Fotomuseums Winterthur als Emerging Artist nominiert. Im selben Jahr habe ich den Fotografiepreis »Prix Nestlé« des Festival Images in Vevey gewonnen und konnte mit diesem Preis das erste Mal als Kunstfotograf für ein Projekt reisen. Meine Arbeit »Contemplatio – The Act of Noting and Recording« zeige ich heute während des Vortrages.
Das neue Projekt aus Grönland?
Nein, das hat erst begonnen und ist noch in Entwicklung. Zu Beginn eines Projektes arbeite ich sehr strukturiert und recherchiere viel. Ich bin vor drei Wochen zurückgekommen und habe die Bilder erst ein einziges Mal zum Überprüfen angeschaut. Jetzt müssen sie allerdings etwas liegen, damit ich mit etwas Distanz daran arbeiten kann.
Wie gehst du bei deinen Landschaftsbildern vor? Entstehen sie aus der Situation heraus oder suchst du das richtige Motiv über einen längeren Zeitraum aus?
Ich bin analytisch, andere würden mich irre nennen. Prinzipiell gehe ich an jeden Ort zwei- bis dreimal. Zuerst besuche ich den Ort mit einer kleinen, leichten Kamera. Ich kann sehr schlecht mit schwerem Gepäck irgendwo hinreisen und einfach losfotografieren. Ich bemühe mich, die Motive im Vorfeld zu erarbeiten. Beispielsweise wie in Schottland, wo eine Besichtigung vorher nicht möglich war. Ich habe topografische Karten zur Hilfe genommen, um anhand der Höhenkurven herauszufinden, wo sich spannende Landschaften zeigen könnten.
Das klingt interessant, wie hoch war die Erfolgsquote?
Die war wunderbar! Die analytische und kartografische Arbeitsweise hat sehr gut funktioniert. In Grönland war ich ähnlich vorbereitet. Ich wusste, was ich für mich suchte und wohin ich wollte.
Entstehen deine freien Arbeiten alleine oder hast du einen Assistenten?
In der Fotografie arbeite ich oft mit Assistenten. Das habe ich aus meiner Zeit bei »adidas« gelernt. Für mich ist es wichtig, dass jemand zum Helfen dabei ist, auch wenn es manchmal kaum etwas zu helfen gibt. Ich kann mich auf meine Gedanken konzentrieren und komme dadurch schneller zu besseren Ergebnissen. Außerdem kann man auch diskutieren. Das finde ich sehr hilfreich und angenehm.
Wie sieht das im »Studio CRR« aus?
Ich bin jetzt seit zehn Jahren selbstständig und habe immer mit Freelancern oder festangestellten Designern zusammengearbeitet. In den letzten Jahren hatte ich ein Team aus zwei bis drei Mitarbeitern. Der Grafiker, der mich am längsten begleitet hat, war sechs Jahre bei mir festangestellt. Ich habe dieses Jahr die Anzahl der Mitarbeiter verringert – das hängt damit zusammen, dass wir ein ziemlich großes Projekt abge- schlossen haben. Aber ich habe auch bemerkt, dass ich mehr Zeit für die Weiterentwicklung meiner Gestaltung und meiner Fotografie brauche.
Wie bringst du Design und Fotografie zusammen?
Das klappt oft nicht so gut. Es gibt oft Momente, in denen man das Gefühl hat, man arbeitet zu wenig intensiv an der Grafik oder an der Fotografie. Ich gehe aber anders an Bilder heran, weil ich Grafik mache – und ich gehe anders mit Grafik um, weil ich weiß, was ein Bild braucht. In solchen Momenten ist es dann wunderbar, beides machen zu dürfen.
Wie kam es zu deiner auto-didaktischen Ausbildung?
Ich habe das Abitur aus persönlichen, familiären Gründen abgebrochen. Diese Entscheidung ist im Nachhinein total lächerlich. Teilweise habe ich mir das Abitur gewünscht, weil ich gerne einen medizinischen oder wissenschaftlichen Beruf gelernt hätte. [lacht] Ebenso kann ich sagen: Gott sei Dank habe ich kein Abi, denn sonst wäre ich heute kein Fotograf und Designer geworden.
Wieso bist du Designer geworden?
Zum Design kam ich einfach aus Neugierde. Mein Bruder hat Produktdesign studiert – und das wollte ich auch machen. Die Professoren im Studium waren jedoch der Meinung, dass ich lieber Grafikdesign machen sollte und verwehrten mir das Produktdesign, also bin ich wieder gegangen. Ich habe dann viele andere Dinge gemacht – unter anderem auch Sport. Für ein Snowboardfestival habe ich meine erste Broschüre erstellt. Ich wurde an dem Tag Grafiker, als ein Snowboardkumpel nachts mit dem Chef von »Windsurfing Chiemsee« vor meiner Tür stand und bei einem Glas Wein fragte, ob ich Grafik kann. Ich sagte: »Ja, klar.« – »Gut, dann fängst du am 1. April bei uns an.« Das war mein Vorstellungsgespräch. So wurde ich dann, wenn man es heute rückblickend sagen will, grafikaffiner Mitarbeiter. [lacht] So bin ich in das Gebiet des Grafikdesigns reingerutscht und habe mich dann mit viel Engagement dahinter geklemmt es gibt eine Anekdote, wie ich mit dem Grafiker von Matador, Manfred Schmidtlein, gesprochen habe und flapsig meinte: »Ach, das ist doch nur Text … « Daraufhin ist er in die Luft gegangen: »Mensch, das ist Typografie! Das ist nicht nur irgendwelche Computerprogramme bedienen, das ist ein Handwerk!«. Dieser Ausbruch ist tief sitzen geblieben und erklärt vielleicht meine heutige Affinität zur Typografie.
Aber ist es nicht schwierig, ohne Abschluss einen Job zu finden?
Ja, das stimmt. Aber man lernt immer in Projekten. Ein ehemaliger Chef hat einmal zu mir gesagt: »Du kannst nicht alles wissen, selbst wenn du es in der Ausbildung oder im Studium gelernt hast, du wirst immer neue Sachen dazulernen. Zum Einen musst du offen für Neues sein und zum Anderen musst du dir Spezialisten suchen.« Ich hatte großes Glück. Man muss die richtigen Leute treffen, die man begeistern kann, aber man muss auch sein Wort halten. Wenn die Leute merken, dass man sich einsetzt, ist das viel wert.
Was ist Design für dich?
Ich verstehe Design als Inhalt und nicht als Schmuck. Das kann zu Konflikten mit Kunden führen, die gerne Schmuck hätten. Ich bin gerade an dem Punkt, an dem ich mich frage: Wo soll das Design hingehen? Bei meinen künstlerischen Projekten arbeite ich sehr inhaltlich. Ich bin dann Kunde, Artdirector, Produzent und Fotograf in einem. Das hört sich gut an, aber zerreißt einen aber auch. Man muss alles mit sich selber aushandeln.
Wie schaffst du es, dir Zeit für freie Projekte zu nehmen?
Für Grönland habe ich mir gesagt, ich bin zehn Tage weg – und E-Mails müssen warten. Da bin ich sehr stolz drauf. Meine Familie hätte sich diesen radikalen Umgang mit Kunden schon viel früher gewünscht. Man muss sich die Zeit bewusst nehmen. Und ich habe festgestellt, dass meine freien Arbeiten die kommerziellen positiv beeinflussen.
Wie gewinnst du Kunden?
Akquise betreibe ich nicht besonders gut. Ich hatte auch hierbei viel Glück, denn viele Kunden kamen auf mich zu. Das war beispielsweise bei dem Schauspielhaus Zürich so, als ich eine Gruppe Studenten dabei begleiten sollte, ein Corporate Design zu entwickeln. Aber wie das dann eben so ist, fuhr einer in den Urlaub, der andere hatte sonst etwas zu tun, der andere keine Lust mehr, und so sind wir auf einmal an dem Job hängen geblieben. Da muss man seine Chance nutzen. Ansonsten machen wir auch Pitches mit, es gibt einfach verschiedene Modelle.
Was sind deiner Meinung nach die Unterschiede im Designprozess im Vergleich von früher zu heute?
Der Designprozess läuft insofern schief, dass er noch im herkömmlichen Stil abläuft. Also der Kunde brieft, die Agentur hört sich alles an, ist begeistert, überlegt, arbeitet und kommt dann mit drei Vorschlägen zurück, weil ja angeblich einer nicht ausreicht. Das ist meiner Meinung nach ein ganz großes Problem, denn ein großer Teil der Arbeit landet im Eimer. Der Kunde entscheidet sich für A, aber auch für einen Aspekt aus C und wiederum einen aus B und bittet die Agentur, das zusammenzufügen. Die macht es genervt, obwohl eigentlich C am Besten war. Also arbeitet man mit Kompromissen. Schlussendlich ist der Kunde wieder in derselben Situation, weil er sich das ja anders vorgestellt hatte …
Und was vermisst du im Designprozess?
Was ich im Designprozess vermisse, ist die Bereitschaft vom Kunden, den Designer als Spezialisten zu sehen. Es ist ja oft so, dass der Kunde seine Sachen zum Designer gibt, um sie schön zu machen und in Form zu bringen. Aber das löst oft die Designaufgabe gar nicht und bleibt im Formalen hängen, wo letztlich über Gelb oder Grün debattiert wird. Allzu oft wird der Designer nur als Dienstleister verstanden.
Was glaubst du, wird sich für Designer und Fotografen in den nächsten Jahren verändern?
Die Berufsaussichten sind nicht sehr rosig. Das Tragische ist, dass zu viele Designer ausgebildet werden, und der Wert des Designs immer weiter sinkt. Genauso ist es in der Fotografie: Die Bereitschaft für ein gutes Bild Geld auszugeben, nimmt ab. Ein weiteres Problem ist, dass in der Ausbildung das Handwerk vergessen wird, wie man ein Raster aufbaut, wie man Schriftgrößen aufeinander abstimmt, wie man Drucksachen erstellt. Das Können und Beherrschen dieser handwerklichen Mittel wird später aber die Spreu vom Weizen trennen. Außerdem ist es wichtig, sich eine eigene Handschrift zu erarbeiten. Welche Arbeitsmittel man dabei nutzt, ist unwichtig. Am wichtigsten ist das Vertrauen in sich selbst und seine Arbeit, um letztlich sagen zu können: Damit werde ich später Geld verdienen.
Danke für das Gespräch!